Das Spielefest in Wien ist von den Toten auferstanden. Und das gut. Sehr gut sogar. Aber natürlich bleiben ein paar Fragen.
17. NOVEMBER 2019
Kalender sind was Eigentümliches. Genau am Eröffnungstag des Spielefests neu hätte Ferdinand de Cassan seinen 70. Geburtstag gefeiert. Das Wiener bzw. das österreichische Spielefest, das war „Ferdinands Baby“. Die einstmals weltgrößte Veranstaltung ihrer Art hatte es auf bis zu 70.000 Besuchern gebracht. 2017 ist Ferdinand gestorben. Und es sah so aus, mit ihm auch das Spielefest in Wien.
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An diesem Wochenende nun die „Wiedergeburt“. Keine Fremdveranstaltung im Austria Center Vienna (ACV) mehr, sondern eine Eigenveranstaltung des Hausherren, auf den erfolgreichen Jahren wurzelnd, aber mit einem anderen Konzept.
Und so schwebt könnte man das Fazit mit der Frage verknüpfen: Was hätte Ferdinand gesagt, wie hätte ihm das Spielefest neu gefallen?
Dazu nur zwei Fakten eingeflochten, die in diesem Zusammenhang nicht unwichtig sind. 2015 fand das letzte „alte" Spielefest unter der Initiative von Ferdinand uns seiner Frau Dagmar de Cassan im ACV statt. Weil sich die de Cassans, der örtliche Handel und die Verlage nicht grün wurden, sollte die Veranstaltung 2016 für einen Neustart ein Jahr pausieren. Die Messegesellschaft Reed sah eine Chance, die Lücke zu füllen und veranstaltete 2016 (mit Unterstützung einiger Verlage) eine Spieleveranstaltung namens „spielespass". 14.868 Besucher waren fürs erste Mal respektabel, aber keineswegs berauschend. Ich schreib damals: Das Zukunftspotenzial sei vorhanden. Für die Beteiligten erwies sich die Reed Messe allerdings nicht als verlässlicher Partner. Für 2017 sagte sie die zweite „spielespass" überraschend und kurzfristig ab.
Dieses Schicksal blüht allen, denen in der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt eine adäquate Spieleveranstaltung am Herzen liegt, dieses Mal hoffentlich nicht. Das ACV will zwar die Besucherzahl erst in der kommenden Woche bekannt geben. Auch ohne eine solche Untermauerung lasst sich sagen: der Neustart lässt optimistisch nach vorwärts blicken. So musste sowohl am Samstag als auch am Sonntag eine weitere Halle mit zusätzlichen Spieltischen aufgemacht werden.
Ein paar Dinge habe ich auf spielwiese.at schon positiv ins Treffen geführt. Die Umwandlung einer dunklen Katakombe in ein einladendes Untergeschoß, zum Beispiel. Da hat sich das ACV wirklich ins Zeug gelegt hat, das wird von den Ausstellern auch sehr goutiert. Denn ihre Zufriedenheit, ob sie (wieder) kommen, ist das alles Entscheidende. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass damals und heute mit ungleichen Waffen hantiert wird. Für das eine und andere hätte Ferdinand de Cassan als Mieter extra bezahlen müssen, was das ACV für eine eigene Veranstaltung, sagen wir: anders verbuchen kann.
Was zählt, ist der Gesamteindruck. Der war an diesem Wochenende gut bis teilweise sehr gut. Aus Besucher- und Ausstellersicht gibt es dennoch ein paar Stellschrauben. Das ist völlig normal und sollte zu bewältigen sein.
So ist für die Besucher die Spielausleihe von zentraler Bedeutung. Hier wird vor allem verglichen: Wie viele unterschiedliche Spiele kann ich ausprobieren? Sind sie verfügbar in den paar Stunden, für die ich Eintritt bezahlt habe? Nun, Stammbesucher waren anderes gewohnt. Der eine Teil der Spielausleihe 2019, ohne Spielerklärung, vermittelte optisch ziemlichen Flohmarkt-Appeal. Da waren auch Spiele darunter, die es im Handel gar nicht mehr gibt. Für die Verlage und für den Handel ist das ärgerlich und für Besucher Frust: Da spielt man ein Spiel, das gefällt, das es aber nicht mehr erhältlich gibt. Da hätten sich Veranstalter, Verlage und die extern engagierte Spielausleihe koordinieren sollen. Dass, andererseits, die einen oder anderen Besucher auf ihr „Recht" pochen wollten, sich nicht nur mit einem Spiel, sondern gleich mit vier, fünf Spielen an einen Tisch zu verziehen, haken wir unter unsozialer Unsitte ab. Man kann nicht mehrere Spiele gleichzeitig spielen. Man beraubt nur andere der Chance etwas kennen zu lernen. Nur weil das früher möglich war (als einzelne Spiele mehrfach vorrätig waren), ist kein Argument.
Und offenbar hat auch die Kommunikation zwischen Veranstalter und Ausstellern nicht immer reibungslos funktioniert. Dass die Aussteller nicht automatisch erhalten, was die ACV-Presseabteilung zum Spielefest an die Medien hinausgibt, ist ein Unding.
Aber das wird reifen. Das erste Mal ist eben das erste Mal. Ich und meiner Beobachtung nach auch der Großteil der Besucher haben sich wohl gefühlt. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat das Gastrokonzept. Auch das war anders und eindeutig besser als früher. Über allem: Motiviertes Personal statt unleidlichen Pommes-Verteilern an abartigen Kalorienausgabestellen sowie ein recht vielfältiges Verpflegungsangebot unter dem Motto „Es geht auch mit weniger Fett!". Auch preislich war es, für eine solche Veranstaltung, okay. Zudem ein nachhaltiges Becherpfandsystem (Greta lässt grüßen!) und ein wachsames Aufsichtspersonal, damit Spiel- und Esstische getrennt bleiben.
Ein, um nicht zu sagen: der Knackpunkt früherer Jahre, darf nicht unerwähnt bleiben. Das Spielfest alt war verkaufsfrei. Am Spielefest neu konnten Besucher die Spiele, die ihnen gefallen haben, auch kaufen. Auch das finde ich gut. Dass sich die beiden vertretenen Händler Heinz und Thalia dabei absprachen, wer seine Schwerpunkte auf welche Verlage setzt, ist nicht selbstverständlich, aber vernünftig. Schließlich geht es dabei auch um die Frage, warum man Leute auf einem Spielefest anfixt, sie dann aber zuhause Amazon überlässt. Ich werde nie vergessen, wie ein deutscher Verlagsvertreter den ewigen Zwist kommentierte: „Ihr Ösis seid zu blöd Geld zu verdienen, das die Leute ausgeben wollen!“
Spät, aber doch, wurde dazu der Gegenbeweis angetreten. Auch Ferdinand de Cassan hatte im Laufe der Zeit seine Meinung dazu gewandelt, blieb aber als Veranstalter, der das Risiko privat trägt, in bestimmten Rücksichtnahmen gefangen. Ferdinand de Cassan war sicher kein einfacher Mensch. Aber das Spiel und die Menschen zum Spielen zu bringen, stand über allem. Ich denke, das neue Spieltest hätte ihm gefallen.
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