Zwei Themen bestimmen noch bis morgen Sonntag die Gespräche zwischen Branchevertretern auf den Internationalen Spieltagen in Essen. Die ungeheure Neuheitenflut und eine eigenartige Feststellung der Interessenvertretung der Spieleautoren SAZ. Beides lässt sich nicht voneinander trennen.
Um die 600 Neuheiten, die seit dieser Woche auf der Spielemesse in Essen präsentiert werden, überfordern. Die Besucher: sprich die Käufer dieser Messe, die Medien, die darüber berichten sollen, die Kritiker, die alles sichten und bewerten sollen (und das möglichst noch vor dem nächsten Neuheitenrausch in gut drei Monaten in Nürnberg), die Händler, aber auch die zweite Reihe der Produzenten. Viele Verlagsmitarbeiter liefen in den vergangenen Monaten auf 120 Prozent, um für Essen alles fertig zu bekommen.
Selber schuld, könnte man sagen: Macht halt nicht so viele Spiele! Allerdings: In der Krise wittern die Verlage die Chance, dass Spielen zuhause gefragter denn je sein wird. Mit "Homing" hat beispielsweise Mattel dem angeblichen Trend schon ein Mäschchen umgehängt. Die Theorie – spielen statt Essen gehen – hat etwas für sich. So wird auf den Markt geworfen, was das Zeug hält.
Die Autoren all der neuen Spiele könnten eigentlich zufrieden sein. Immerhin ist jede Veröffentlichung Geld wert. Oft kurzzeitig, aber immerhin. Stattdessen zettelt die Spieleautorenzunft SAZ einen Konflikt mit scheinbar "guten" und "schlechten" Agenturen an. Agenturen, also Ein- und Mehrmannbüros, die im Auftrag der Verlage gegen eine Gebühr Spielevorschläge entgegennehmen und filtern, wären "keine Patentlösung", wettert die SAZ. Anlassfall ist die Entscheidung von Pegasus, Spielvorschläge nur noch über die Wiener Agentur White Castle entgegenzunehmen, die dann – im Fall einer Veröffentlichung – 40 Prozent des Honorars kassiert.
Einmal abgesehen davon, dass es das System Agentur immer schon gab, und Spieleerfindern mit den einschlägigen Treffen in Göttingen und Haar Alternativen offen stehen, um die ganze Heerschar an Spieleredakteuren persönlich anzusprechen: Oft können die Verlage die Flut an ungefragt eingeschickten Spieleideen personell gar nicht mehr bewältigen. Das ist ein Fakt. Die Chance, mit einer Spieleidee direkt bei einem Verlag zu punkten, tendiere deshalb mittlerweile gegen Null, erklärten mir in Essen Redakteure aus verschiedenen Verlagen. Also wird outgesourct, wie das Neudeutsch heißt. Pegasus wird nicht der letzte Verlag sein, der diesen (Aus-)Weg wählt.
Zynisch formuliert: 60 Prozent von Etwas ist besser als null Prozent von nichts.
Objektiv betrachtet: Die Chancen stehen zurzeit gar nicht so schlecht, mit Ideen unterzukommen. Ein großer Teil der Verlage ist hungrig auf mehr und noch mehr neue Spiele, wie schon lange nicht. Wenn das diesjährige Weihnachtsgeschäft halbwegs die Erwartungen erfüllt, wird die Neuheitenflut zumindest 2010 andauern. Über welche Kanäle die Ideen dafür in die Verlage fließen, ist für sie zweitrangig.
Auch das Stöhnen aller, die sich "überflutet" fühlen, wird auf absehbare Zeit geflissentlich überhört werden. Denn jetzt ist erst mal "Homing" angesagt.
Arno Miller