Abgründige Flussfahrt
Niagara ist das Spiel des Jahres 2005. Arno Miller schreibt, was es taugt.
Zuerst einmal zwei Dinge: Wer sich Strategisches vom Spiel des Jahres 2005 erwartet, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der ein Spiel mit Tiefgang sucht. Niagara ist leichte Kost. Damit werden all jene befriedigt, die sich ein relativ einfach zu erlernendes Spiel wünschen, an dem sie wenig zu knofeln haben: die breite Masse, Spielunerfahrene
Das ist auch in Ordnung so, dafür ist die Auszeichnung gedacht. Die Spieler ziehen Kanus, auf denen sie Edelsteine am Flussufer sammeln. Der Fluss ist eine Vertiefung im Spielbrett. In sie werden durchsichtige Scheiben als bewegliche Flussfelder gelegt. Schiebt man auf der einen Seite neue Scheiben hinein, purzeln auf der anderen die Flussfelder den Wasserfall hinunter. Kanus, die sich darauf befinden, stürzen mit in die Tiefe. Das ist die augenscheinliche Besonderheit bei diesem Spiel. "Niagara besticht nicht nur durch den bis zuletzt spannenden Spielverlauf, sondern vor allem durch seine überragende Materialqualität", begründet die Jury Spiel des Jahres ihre Entscheidung, "selten ist ein Thema so realitätsnah und sinnlich zugleich in ein Spiel umgesetzt worden." Neu ist das Spielelement mit dem Wasserfall nicht. Abgesehen davon, dass Autor Thomas Liesching das Spiel schon seit zehn Jahren in der Schublade hatte, gab es mit Ach, du lieber Biber und Flusspiraten (Spielwiese 73) bei Ravensburger zwei verwandte Spiele und das Schieben von Teilen ist speziell bei abstrakten Brettspielen ein immer wiederkehrendes Element.
Die von der Jury hervorgehobene Realitätsnähe des Spiels Niagara ist aber ein Fakt, der es von anderen unterscheidet. Flusslandschaft, Kanus in Holz und kräftigen Farben, Paddelkarten und Edelsteine ergeben ein stimmiges Spielambiente. Der Kitschfaktor hält sich in Grenzen. Auch das Schieben an sich funktioniert besser als bei vergleichbaren Spielen (wenn man nicht allzu ungestüm ans Werk geht). Das Problem war immer, dass es zu Überlappungen der Spielteile kommt und das Ganze stockt. Hier scheint Zoch eine vernünftige Balance zwischen Materialkosten und Größe, Dicke und Schwere gefunden zu haben.
Irritationen
Zu gewinnen werden den Spielern ungewöhnlich, um nicht zu sagen: sträflich viele Möglichkeiten gelassen. Das hinterlässt Irritationen. Sieger wird, wer zuerst "fünf verschiedene" oder "vier gleichfarbige" oder "sieben beliebige" Edelsteine an Land gebracht hat. Über das Spielbrett sind fünf Fundstellen mit je sieben Edelsteinen verteilt. Im Laufe des Spiels muss man mit einem Kanu dort hinkommen, aufladen und wieder zum Ausgangspunkt zurück. Dabei kann immer nur ein Edelstein in einem Kanu transportiert werden. Dieses Hin und Zurück wird durch zwei Umstände erschwert: Der Fluss ist in Bewegung – die Flussfelder steuern also samt Kanus immer vom Start-Zielpunkt weg – und unterwegs kann man von Mitspielern beraubt werden. Auch das dürfte im Wilden Westen, wo Niagara angesiedelt scheint, durchaus der Wirklichkeit entsprochen haben. Aber dankenswerterweise müssen keine Indianer dafür herhalten, sondern als Gute und Böse sind die Weißen unter sich.
Wie aber kommt man im Normalfall an die begehrten Klunker und auf dem Fluss überhaupt voran? Jeder Spieler hat dazu ein Set von sechs Paddelkarten und einer Wolke-Karte. Pro Runde wählt sich jeder Spieler eine dieser Karten aus. Jede kann nur einmal eingesetzt werden und bleibt auf einem Ablagestapel. Erst wenn die letzte ausgespielt wurde, steht einem das volle Set wieder zur Verfügung. Anders gesagt: Kein Würfelzufall, sondern taktische Kräfteeinteilung, denn die Paddelkarten erlauben Zugweiten von 1 bis 6. Um beispielsweise von einer Fundstelle am Flussufer einen Edelstein aufs Kanu zu laden, muss man zwei Punkte abziehen.
Hat man beide Kanus auf dem Fluss, gilt der Wert der Paddelkarte für beide Boote.
Für den Reiz, aber auch das Spielglück, geben ein wenig Geheimniskrämerei und Ungewissheit den Ausschlag. Alle Spieler entscheiden sich gleichzeitig geheim für eine Karte. Welchen Wert seiner Paddelkarte ein Spieler für die begonnene Runde gewählt hat, deckt er erst auf, wenn er an der Reihe ist. Natürlich ist hier der jeweils wechselnde Startspieler im Vorteil. Haben alle Spieler ihre Karten aufgedeckt und Spielzüge vorgenommen, wird Wetter "gemacht": Das Wetter beeinflusst, wie schnell das Wasser Richtung Wasserfall fließt. Dazu wird der Wert der in dieser Runde niedrigsten ausgespielten Paddelkarte mit der Position (-1, 0, +1 oder +2) der Wolke auf der Wetterleiste am Spielplanrand verrechnet. Das Ergebnis ist die Anzahl der Flussfelder, die hintereinander ins Flussbett eingeschoben werden. Durch die Wahl der Wolke- statt einer Paddelkarte beeinflusst ein Spieler bereits in seinem Zug die Wetterleiste.
Fazit
Das neue Spiel des Jahres Niagara lebt von der Unberechenbarkeit, die umso größer wird, je mehr mitspielen. Deshalb sind vier Spieler die Idealbesetzung, wenn sie noch das Gefühl behalten wollen, selbst etwas zu bestimmen. Zu fünft wird's unbefriedigend. Das Spielmaterial ist vorbildlich und rechtfertigt den Verkaufspreis. Dass man flussaufwärts ein fremdes Kanu beklauen darf, ist ein gehöriger Ärgerfaktor für Betroffene, als weiteres Spannungselement im Spiel wohl aber unerlässlich. Besonders für Kinder.
Das neue Spiel des Jahres ist somit ein klassisches Familienspiel. Darüber hinaus, im Erwachsenenbereich, ist mir um eine Zielgruppe bang.
Nr. 899: Niagara |
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Spielwiese-Code | | G | 8 | | |
2004: Zoch |
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Themen: Wasserfälle, Boote, Schatzsuche
Preis-Leistungsverhältnis |
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-Service:Spielanleitung zum HerunterladenNotizblock der Kritiker: Was andere zum Spiel meinen |
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Auszeichnungen
Rund ums Spiel
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