Was sind die „Kinderspiele des Jahres“ wirklich wert?
In Heft 39 hatte Die Spielwiese 1996 die beiden Preisträger miteinander verglichen. Hier der unveränderte Beitrag (vor Rechtschreibreform, vor Euro-Einführung) von damals.
Ergänzung 1: Vier zu mir! erschien in neuen Auflagen später bei Schmidt sowie als 4 zu mir! bei Noris
Ergänzung 2: Aus Hallo Dachs! entwickelte Klaus Teuber † später Fette Bäuche bzw. Spinnengift und Krötenschleim
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Nr. 346: Vier zu mir! | Spielwiese-Code | | E | 5 | |
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Was ist's?
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Nr. 347: Hallo Dachs! | Spielwiese-Code | | G | 8 | |
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Was ist's?
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Vier zu mir! – Die Kinder müssen sich merken, in welcher Röhre die Tiere versteckt sind. | |
Auch Hallo Dachs! ist ein Kinderspiel, bei dem es auf den „Memory-Effekt“ ankommt.. |
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Bilder: ASS, Goldsieber |
Zuerst zum Sonderpreis Kinderspiel der Jury Spiel des Jahres, dem sogenannten Kinderspiel des Jahres: Memory und Quartett lassen bei Vier zu mir! grüßen! Mit vermischten Mechanismen, viel Plastik und noch mehr Luft in der Schachtel. Nur der Auszeichnung hat es dieses Spiel zu verdanken, daß es hier besprochen wird – warum es diesen Titel bekommen hat, ist nicht nachzuvollziehen.
Die Schachtel ist noch recht ansprechend, fast schon aufreißerisch. Doch die Untertitel versprechen etwas, was das Schachtelinnere nicht hält: knubbelige Tierfiguren und ein aufregendes Suchspiel. 24 farbige Plastiktiere mit manchmal recht merkwürdiger Farbzuordnung, 24 grüne Röhren (Recycling von Filmdosen?) sowie Suchkarten, auf denen je vier Tiere abgebildet sind, bilden das Spielmaterial.
Nachdem alle Tiere in die Röhren gesteckt wurden, werden diese gemischt. Jeder Spieler erhält eine bestimmte Anzahl der Röhren (hängt von der Anzahl der Spieler ab) und je zwei Suchkarten. Sie sind seine Suchaufgabe. Jeder schaut sich die Tiere in seinen Röhren an und dann muß man sich darum bemühen, die fehlenden Tiere bei den anderen zu finden. Es beginnt eine große Fragerei; hat man ein Tier gefunden, darf man weiterfragen, sonst kommt der nächste an die Reihe (Quartett-Prinzip).
Hat man das vierte Tier einer Suchkarte entdeckt, zeigt man die entsprechenden Tiere in den Röhren den anderen und legt seine Suchkarte ab. Es wird eine neue Karte gezogen und so geht’s weiter.
Haben alle aufgepaßt, wandern die Tiere wild hin und her und die Karten purzeln nur so auf den persönlichen Ablagestapel, der am Ende die Punktewertung bildet. Sind alle Suchkarten aufgenommen und legt ein Spieler seine letzte Karte aus der Hand, weil er alle darauf abgebildeten Tiere gesammelt hat, ist Schluß. Gewonnen hat, wer die meisten „erledigten“ Suchkarten hat.
Kinder lieben Memory und lieben Quartett-Spiele. Dennoch kam der „Gleich-nochmal!“-Effekt in unseren Kindergruppen nicht auf.
Mini-Maxi
In dieselbe Kerbe, nämlich der Merkfähigkeit, schlägt das „andere“ Kinderspiel des Jahres. Von Konsumenten und Spielexperten für den Titel „Deutscher Kinderspielpreis“ ausgewählt wurde diesmal Hallo Dachs! von Klaus Teuber. Es ist eigentlich als Familienspiel bei Goldsieber in der Reihe „Die Maxis in der Minibox“ erschienen. Familienspiel? Bedingt – Thema und Aufmachung entsprechen doch mehr kindlichen Ansprüchen und außerdem sind uns bei Gedächtnisspielen die Kleinen ja immer haushoch überlegen.
Hallo Dachs! ist ein Merkspiel, bei dem die Spieler je nach Risikobereitschaft einen gewissen Einfluß auf den Verlauf nehmen können. Der Spielplan zeigt einen Wald mit Wegen und Lichtungen. Hier geht der Dachs auf Jagd nach Eßbarem. Und zwar immer nur von einem Feld zum anderen. Der Dachs (bzw. die Dachse) das sind die Kinder, die zu Beginn ihre Spielfigur auf eine Lichtung stellen, deren „Dachs-Chip“ die Zahl 1 zeigt.
Ist das Kind an der Reihe, kann es gleich sein Glück probieren. 1 bedeutet: es darf eines der 23 Bildkärtchen, die verdeckt rund um den Spielplan gelegt wurden, aufdecken. Zuerst muß das Kind jedoch würfeln und die Augenzahl sagt ihm, was es suchen, sprich: aufdecken muß. Eine gewürfelte Eins ist beispielsweise ein Blaubeer-Kärtchen, eine Fünf eine Schnecke. Die den sechs Augenzahlen entsprechenden Bilder sind auf den Spieplan gedruckt.
Nun fragt man sich, warum denn nicht gleich auf dem Würfel? Ein derartiger Spezialwürfel hätte deutlich mehr gekostet und Hallo Dachs! wie auch die anderen „Maxis in der Minibox“ sind alle für einen psychologisch entscheidenden Preis unter DM 20, respektive 200 Schilling konzipiert. Der Umweg über die Bildchen auf dem Spielplan ist gewöhnungsbedürftig, aber vertretbar.
Weiter im Spiel. Deckt das Kind das richtige Kärtchen auf, kassiert es den Dachs-Chip und in diesem Fall einen Punkt. Man kann aber am Beginn eines Zuges auf eine benachbarte Lichtung ziehen, wo vielleicht ein Dachs-Chip mit der Zahl 2, 3, 4 oder 5 liegt. Dann muß man allerdings wie oben beschrieben entsprechend viele Nahrungskärtchen richtig aufdecken. Gleich nach dem Start ist das praktisch unmöglich, auch wenn zu Spielbeginn als Hilfe zehn Sekunden lang sechs Kärtchen für alle sichtbar aufgedeckt wurden. Gelingt es einem Kind, eine dieser schwierigeren Aufgaben zu lösen, kassiert es natürlich entsprechend viele Punkte.
Die sind dann nur noch durch die fünf Müllkärtchen gefährdet, die sich im „Nahrungshaufen“ verbergen: Deckt man eines von ihnen auf, verliert man einen seiner bereits gewonnenen Dachs-Chips oder muß einmal aussetzen. Selbstredend setzt jedes Kind lieber einmal aus.
Wie erwähnt, werden die Dachs-Chips bei erfolgreichem Aufdecken kassiert, was bedeutet, daß nach und nach die Lichtungen leer sind. Da man bei seinen Spielzügen aber nur auf ein benachbartes Feld ziehen darf, ist etwas Planung gefordert, in welche Richtung man sich im Wald bewegt. Denn: komme ich auf eine leere Lichtung, ist mein Zug beendet ohne daß ich die Chance hatte, ein oder mehrere Nahrungskärtchen aufzudecken.
Und das ist gar nicht so einfach – vor allem nicht für Erwachsene, denn jedes Motiv kommt zwar dreimal vor, aber sie wissen ja …! Die Kärtchen liegen rings um den Spielplan und werden durch das relativ häufige Aufdecken und Umdrehen in ihrer Position immer wieder verändert. Und sie bleiben – im Gegensatz zu Memory – liegen.
Fazit
Auf den ersten Blick haben die Spiele einige Gemeinsamkeiten. In der Qualität unterscheiden sie sich dennoch deutlich. Vier zu mir! ist eine etwas sorglose Angelegenheit, die schnell abflacht und nur mäßigen Reiz auf eine neue Runde ausübt. Freilich gefallen den Kindern die kleinen Tierfiguren. Witzige Weiterentwicklung von Quartett und Memory sowie unbeschwertes Spielvergnügen, so die Jury in ihrer Begründung, dürfen zumindest hinterfragt werden.
Hallo Dachs! hat mehr Anspruch und verlangt nach etwas Taktik. Das Spielmaterial ist nicht jedermanns Sache, dahinter stecken Kostengründe. Ganz so leicht, wie es zuerst aussieht, ist das Spiel nicht. Einige unserer Spieletest-Kinder hatten deshalb keine Lust auf eine weitere Runde bzw. es wurde ihnen aus Frust schon während des Spiels fad.
Die vom Verlag angegebene Altersempfehlung von 7 Jahre ist einmal mehr nur eine vage Orientierung. Entscheidend für den Spielspaß mit Hallo Dachs! ist, ob das betreffende Kind derartige Spiele wirklich mag und sich auch schon kleinen taktischen Herausforderungen zu stellen imstande ist.
Wolfgang Wichmann
Arno Miller