Das Böse ist das neue Gut
Hier übernehmen die Spieler die Rollen der Bösewichte aus Disney-Animationsfilmen. Man darf nicht nur, man muss sogar die Mitspieler attackieren. Ein schönes Spielkonzept, das allerdings hakt.
Nr. 1325: Disney Villainous | Spielwiese-Code | | G | 12 | | | |
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Was ist's?
Für wen?
Was braucht's?
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An der Spielaufmachung gibt es nichts auszusetzen. An den Bedingungen für einen gerechten Spielverlauf allerdings schon. Bild: Ravensburger |
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Die gute Nachricht
Ein Spiel mit bestechend guter Gesamtaufmachung
Die schlechte Nachricht
Die einzelnen Partien laufen zu wenig ausgewogen ab
Rein ins Spiel!
Ein großartiges Cover und auch das Spielmaterial, hat man es mal in die Hand genommen und auf dem Tisch ausgebreitet, überzeugen sowohl optisch als auch haptisch. Mit Ausnahme der Schicksalskarten mit ihren weißen Rückseiten ist alles in düsteren Tönen gehalten. Schließlich geht es ja um das Böse, verkörpert durch die Disney-Bösewichte Käpt’n Hook (aus Peter Pan), Prinz John (Robin Hood), Dschafar (Aladin), Malefiz (die Böse Fee aus Dornröschen), die Herzkönigin (Alice im Wunderland) sowie Ursula (Arielle, die Meerjungfrau). Im Englischen werden solche Charaktere mit „villain" bezeichnet, Schurken, und villainous bedeutet also schurkenhaft.
Für jeden Bösewicht wurde sehr treffend eine kleine farbige Spielfigur in farbiges Plastik gegossen, der im Verlauf eine wichtige Rolle zukommt. Nachdem jeder Spieler eine Schurkenrolle ausgewählt und das entsprechende Spielertableau erhalten hat, wird die Figur auf das Feld ganz links gestellt. Jedes Tableau hat vier Felder, die darauf bestimmte Aktionen zulassen. Nicht nur diese Felder bzw. die Aktionen sind von Tableau zu Tableau unterschiedlich. Die Spieler haben auch ganz unterschiedliche Aufgaben. Das ist der Kern des Spiels. Die individuellen bösen Eigenschaften so gegen die anderen auszuspielen, um am Ende der „beste" Bösewicht zu sein.
Moral? Vergiss es!
Während jeder Spieler versucht mit seinen Bösewicht-Karten sein Ziel zu erreichen, wollen die anderen das verhindern und funken mit Schicksalskarten immer wieder dazwischen. Der Mechanismus funktioniert, grob erklärt, folgendermaßen. Man beginnt mit vier Bösewicht-Karten auf der Hand, insgesamt sind es jeweils 30. Die übrigen 26 bleiben als Nachziehstapel links vom Tableau verdeckt. Als Erstes in einem Spielzug wird die Figur auf ein anderes, beliebiges Feld versetzt, um dort eine oder mehrere der angegebenen Aktionen auszuführen. Dazu sind zum Teil entsprechende Bösewicht-Karten notwendig, die am unteren Rand des Tableaus angelegt werden. Solche Aktionen müssen zum Teil mit Machtchips bezahlt werden. Eine Aktion kann zum Beispiel sein, zusätzliche Machtchips zu erhalten. Am Ende des Spielzugs wird die Hand wieder auf vier Karten ergänzt.
Die Bedingungen sind hart
Man erkennt schon: Um seinem Ziel näher zu kommen, braucht es das passende Kartendeck. Zwar sind einige Bösewicht-Karten mehrfach vorhanden, aber die Beschränkung auf vier Handkarten ist hart. Zu den daraus resultierenden Zufälligkeiten weiter unten.
Ein zentrales Element von Disney Villainous ist das Interagieren mit den sogenannten Schicksalskarten. Sie liegen mit der weißen Rückseite nach oben rechts Tableau. Pro Bösewicht gibt es davon 15. Auch sie sind unterschiedlich. Wählt ein Spieler die Aktion „Schicksal“, sucht er sich einen Mitspieler aus, dem er Böses antun will. Dazu deckt er dessen oberste Schicksalskarte auf und legt sie ihm offen über die obere Hälfte eines seiner Felder. Das kann mehrerlei bewirken. Auf alle Fälle bleiben ein oder zwei mögliche Aktionen, die auf dem Feld angezeigt sind, verdeckt und stehen somit nicht mehr zur Verfügung. Weiteres wirken Schicksalskarten wie ein Fluch. Der betroffene Spieler muss zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sein Spielziel zu erreichen. Er wird also eingebremst.
Soweit zum prinzipiellen Spielablauf.
Die Tücken stecken im Detail, da die Wirkung sowohl von Bösewicht- wie auch Schicksalskarten sehr, sehr breit gefächert ist. Disney Villainous kommt modern daher, aber bei näherer Betrachtung sind die beiden Kartenarten auch nichts anderes als das, was man früher „old school“ Ereigniskarten nannte. Man muss stets das Beste aus der Situation machen.
Strukturelles Problem
Allerdings hat Disney Villainous ein strukturelles Problem. Der Autor Prospero Hall hat es sicher nicht böse gemeint, den einzelnen Bösewichten im Endeffekt doch ungleiche Waffen in die Hand zu geben. Erklären wir das Ganze anhand der Ziele und Eigenschaften von zwei Bösewichten:
- Käpt’n Hook muss, um zu gewinnen, die Schicksalskarte Peter Pan auf das äußerste linke Feld seines Tableaus bringen. Peter Pan wird, sobald die Karte auftaucht, immer auf das äußerste rechte Feld gelegt. Um sie dann von Feld zu Feld nach links zu bewegen, muss die entsprechende Aktion auf dem Tableau frei sein und „aktiviert" werden. Klingt einfach. Kann es auch einfach sein. Dann nämlich, wenn Peter Pan sehr früh ins Spiel kommt. Wir erinnern uns: Peter Pan ist nur eine von anfangs 26 Karten im verdeckten Schicksalskarten-Stapel. Außerdem ist für Käpt’n Hook das äußerste rechte Feld zu Beginn des Spiels mit einem Schloss blockiert. Um die Blockade zu lösen und alle damit verbundenen Aktionen ausführen zu können, braucht es eine weitere bestimmte Schicksalskarte, die Karte von Nimmerland. Kommt auch sie spät ins Spiel … Alle anderen Schicksalskarten spielen für Käpt’n Hook eine eher untergeordnete Rolle.
- Das Spielziel von Prinz John ist 20 Machtchips zu sammeln. Darauf sind seine Bösewicht-Karten ausgerichtet. Und, natürlich, gegenläufig seine Schicksalskarten, die ihm die bösen, pardon: lieben Mitspieler mit Vergnügen vor die Füße werfen. So wird es vorkommen, dass ein Mitspieler durch eine Schicksalskarte Prinz John vier Machtchips von seiner „Kasse" auf einen Helden (bereits angelegte Schicksalskarten) versetzt. Wird er den Helden aber wieder los, wandern die vier Machtchips zurück in die „Kasse". Unangenehmer ist das schon der Held Robin Hood: So lange diese Schicksalskarte aktiv ist, gibt es für Prinz John jedes Mal einen Machtchip weniger durch Aktionen. Andererseits: Drei Bösewicht-Karten zahlen sich insofern aus, dass beim Ausspielen Prinz John für jeden Helden, der bei ihm angelegt ist, Machtchips erhält: „Manchmal zahlt es sich eben aus, seine Feinde in der Nähe zu haben!“
Immer den Überblick behalten – nicht immer leicht
Speziell bei diesen beiden Charakteren lässt sich für die Mitspieler sehr gut im Auge behalten, wie gut der Spieler auf dem Weg zum Sieg unterwegs ist. Ob und wo die entscheidende Schicksalskarte Peter Pan ist, sieht man ja. Auch bei Prinz John lässt sich dessen Kontostand an Machtchips gut überblicken. Wer einen der beiden Charaktere wählt, muss sich daher ab einem gewissen Fortschritt auf laufende Attacken einstellen. Das ist der Nachteil.
Schon schwieriger wird es, bei den übrigen Bösewichten immer zu erkennen, wie’s dem betreffenden Spieler gerade geht. Für sie ist es auch mühevoller, ihr Spielziel zu erreichen. Richtig ausgewogen sind die Ziele und Fähigkeiten der einzelnen Bösewichte also nicht. Deshalb verlaufen auch die einzelnen Partien des Spiels sehr unterschiedlich. Passen Kartenglück und Zufälle zusammen, können Käpt’n Hook oder Prinz John durchaus schon nach 20 Minuten siegen. Der Verlag gibt an, dass normalerweise mit einer Spieldauer von ca. 20 Minuten pro (!) Spieler gerechnet werden muss. Das deckt sich auch mit der Erfahrung, die wir in den meisten Testrunden gemacht haben. Ausnahmen, siehe vorhin, bestätigen die Regel. Auch der Malefiz-Spieler ist unter bestimmten Bedingungen recht flott unterwegs.
Zur Verdeutlichung: Disney Villainous zu gewinnen heißt, als Erster die Mission seines Bösewichts zu erfüllen.
Mangelnder Einfluss
Bei schlechten Karten hat ein Spieler so gut wie keine Chance. Das ist die Crux des Spiels. Von einem reinen Glücksspiel ist Disney Villainous weit entfernt. Doch der eigene Einfluss auf das Geschehen ist zu gering, um wahre Chancengleichheit herzustellen. Ein fünfter Punkt in der Bewertung war daher außer Reichweite. Spieler, die Wert darauf legen ein Spiel vornehmlich strategisch durch eigene Entscheidungen zu gewinnen, sind hier an der falschen Adresse. Und 4 von 6 Punkten wurden mit etwas Nachsicht vergeben: Einmal für Gestaltung und Material, einmal weil Disney Villainous Gelegenheitsspielern, auch Familien (allein schon wegen des Themas!), trotz Kritikpunkten mit viel Hin und Her eine spannende Stunde beschert. Stichwort: Ereigniskarten. Wir würden jedoch die Altersempfehlung eher bei 12 anstelle von 10 Jahre ansiedeln.
Nochmals spielen? Bedingt. Denn man nimmt in Kauf, mehr getrieben zu sein als tatsächlich Einfluss nehmen zu können. Das ist nicht jedermanns Vorstellung von einem überzeugenden Spiel. |
Rund ums Spiel
Das Rezensionsexemplar wurde von Ravensburger zur Verfügung gestellt
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