LEITMESSE. Der Traum unzähliger Spielefans war und ist es, einmal in die heiligen Hallen der Spielwarenmesse in Nürnberg vorzustoßen. Die meisten von ihnen würden enttäuscht sein. Es gibt viel zu sehen, aber ausprobieren und so … Fehlanzeige. Auch prominente Messeprofis hatten anfangs eine ganz andere Vorstellung davon, was sie auf dieser Messe erwartet. Wir lassen sie heute mit ihren Anekdoten und Eindrücken zu Wort kommen.
Dieses Jahr findet die Internationale Spielwarenmesse in Nürnberg das 50. Mal auf dem Messegelände im Stadtteil Langwasser statt. Eine Institution, die bei "Otto Normalverbraucher" Begehrlichkeiten weckt. Doch das Zutrittsregime ist streng und man staunt, über welche "Umwege" der eine und andere Vertreter der Branche das erste Mal auf die Spielwarenmesse gelangte.
Das erste Mal.
Für Bertram Deininger war es ein „Zauberreich“ und für die Österreich-Chefin von Ravensburger einzigartig, diese „weltweite Buntheit“ zu erleben. Wie sie werden beim Stichwort Spielwarenmesse viele poetisch oder philosophisch.
Anderen wiederum steckt der erste Besuch der Spielwarenmesse noch in den Knochen. Lies, warum Carcassonne-Autor Klaus-Jürgen Wrede geschockt war, der Chef von Schmidt Spiele es mit der Angst bekam und Tom Werneck immer in die falsche Richtung lief und die Anfänge "herrlich unprofessionell" fand.
Lies ihre Story, bevor wir zum Abschluss einen kurzen Blick auf die wechselhafte Geschichte und Fun Facts der Spielwarenmesse werfen, die noch bis Samstag dauert.
1. Also los! Wann und wie war's das erste Mal?
Klaus-Jürgen Wrede 2023 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Bild: spielwiese.at |
Klaus-Jürgen Wrede, Spieleautor (Carcassonne u.a.): „Das Jahr weiß ich nicht mehr genau, aber es war einige Zeit vor Carcassonne. Ich war schon als Autor unterwegs und habe mich ein bisschen umgekuckt. Es war jedenfalls anders, als ich es erwartet hatte. Ich kannte bereits die Messe in Essen und dachte, das ist so ähnlich, nur dass es halt auch noch Eisenbahnen gibt. Ich war dann fast ein bisschen geschockt, dass da die ganzen Leute mit Taschen und Anzügen herumliefen und gar nicht gespielt wurde! Es war alles so Business und das mag ich eigentlich nicht so. Das weiß ich noch, dass ich mich nicht so wohl gefühlt habe in Nürnberg. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und weiß es als Autor auch zu schätzen, dass es hier so viel ruhiger ist als in Essen.“
Willi Weber 2023 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Bild: spielwiese.at |
Willi Weber, Spieleerklärer und Jurymitglied Graf Ludo: „Mein erstes Mal, 1999, da habe ich noch bei Amigo Spiele erklärt, das waren Robin Hood und Union Pacific. Ich erinnere mich daran, das war ein ganz, ganz kleiner Stand in der Frankenhalle, da wo heute die Chinawelt ist. Und alle zehn Minuten ist geräuschtechnisch ein Zug durch unseren Stand gefahren, in einer Riesen Lautstärke, als Werbung für Union Pacific."
Tom Werneck 2023 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Bild: spielwiese.at |
Tom Werneck, Urgestein der Spieleszene und Mitbegründer des Vereins Spiel des Jahres. Erst ist einer der wenigen, die schon die Messe besuchten, als sie noch in der Innenstadt stattfand: „Es war, für mich überraschend, Chaos … ein völliger Verhau. Das war noch in der Stadt, in einem dreistöckigen Gebäude, wie es treppauf, treppab ging. Das war damals noch so was von herrlich umprofessionell, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, dass da mal eine international bedeutsame Leitmesse werden wird. Nach dem Umzug waren dann endlich mal Hallen da, die waren sechseckig, man konnte sich nicht orientieren. Du bist immer in die falsche Richtung gelaufen! Zumindest war der Übergang von einer gebastelten, sehr improvisierten Ausstellung zu einer professionellen Messe sehr deutlich. Das war auch der Zeitpunkt, von wo es aus dem Sprung in dieselbe Richtung gegangen war. Aber begleitet um Jahre von grauenhaftester Platznot, denn außerhalb der Hallen waren irgendwelche Leichtbauhallen, wo man im Matsch oder über irgendwelche Bretter, die über Wasser gelegt wurden, um in die Hallen zu kommen. Dort war’s zugig und kalt – es war völlig ungeordnet – man musste sich die Mühe machen, das abzulaufen, aber da hat man immer wieder dazwischen irgendwelche Perlen gefunden.“
Uwe Mölter 2023 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Bild: spielwiese.at |
Uwe Mölter, jahrelanger Spieleredakteur bei Amigo, heute Konsulent bei Queen Games: „Das war 1978, als ich mein Studium als Sozialpädagoge mit Schwerpunkt Spiel beendet habe. Ich hatte einen Menschen aus Essen kennen gelernt, der einen kleinen Verlag gegründet, Döpper Spiele, und hier einen Stand hatte. Ich hatte ihm erzählt, dass ich die Messe unheimlich gerne mal besuchen möchte. Er sagte okay, wenn du mir ein bisschen hilfst, nehme ich dich mit. Ich kann dich zwar nicht großartig bezahlen, aber Unterkunft und da und dort was zu essen – kann man machen. Er hatte seinen Stand in der Halle P, das war in einem Jahr so eine Traglufthalle oder dann war es mal ein Zelt. Jedenfalls verkaufte er seine Spiele an Einrichtungshäuser, es waren eher Geschenkartikel als Spiele. Das habe ich zwei, drei Jahre gemacht und bin dann natürlich auch ein bisschen rum zu Verlagen wie Ravensburger und so weiter und habe meine ersten Kontakte geschlossen. Das waren meine ersten Erlebnisse auf der Messe und war seither auf jeder Messe entweder für einen Ravensburger, als Journalist für den WDR oder für meinen eigenen Spieleladen, denn ich hatte, oder für Amigo oder jetzt für Queen Games. Das waren so die einzelnen Stationen."
Axel Kaldenhoven Bild: Schmidt |
Axel Kaldenhoven, CEO Schmidt Spiele und Aufsichtsratsvorsitzender der Spielwarenmesse: „Mein erstes Mal Messe in Nürnberg war 1995 in der Atriumhalle (heute 11) und wir hatten von Schmidt einen doppelstöckigen Stand. Und mein erster Gedanke war: Oje, wie komme Ich hier vom 1. Stock raus, wenn es mal brennt!? An diese Sorge erinnere ich mich noch. Inzwischen bin ich dazu übergegangen hier im Obergeschoss lieber ein bisschen größer zu bauen als doppeletagig, damit wir auch mehr Platz für die Leute hier haben.“
Eva Jenczek auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Eva Jenczek, Chefredakteurin des „PBS Magazin spiel & creativ“: „Es war 1988 oder 1989. Ich bin allgemein wegen Spielzeug hierher gekommen, nicht nur wegen Spielen. Und das war schon imposant. Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war der Steiff-Stand mit den ,lebendigen’ Puppen und Bären. Das war die erste Anlaufstelle und die zweite war Lego, die hier erstmals ihre Neuheiten präsentiert haben. Was heute ja ein bisschen fehlt. Man weiß vieles schon. Und das Verlaufen in den Hallen!“ (lacht!)
Jens-Peter Schliemann 2023 auf der Spielwarenmesse. Bild: spielwiese.at |
Jens-Peter Schliemann, Spieleautor und Gewinner des Kinderspiel des Jahres 2022 Zauberberg: „Über einen Freund, dessen Vater irgendwas mit Tiffany-Lampen zu tun hatte und der uns Tickets besorgt hatte. Irgendwie kam ich da mit rein. Vermutlich habe ich nur geguckt. Ich weiß noch, dass ich erschlagen war von dem allem. Genauer kann ich es von der Messe ,Spiel’ in Essen sagen. Das war Herbst 1992. Ich wusste, dass ich Spieleautor werden wollte und habe den SAZ-Stand entdeckt (Spieleautorenzunft, Anm.), bin dann wieder rumgelaufen, dann ist mir wieder eine Frage eingefallen und bin wieder zurück zum SAZ-Stand. Dann Nürnberg im Jahr darauf, 1993. Ich hatte ein Spiel entwickelt und musste dann feststellen, das gab es schon in der Art. Ich habe mich auf der Messe eher ein bisschen orientiert und bin nicht direkt auf die Verlage zugegangen. Ich studierte damals noch Mathe und war eher so als Elfenbeintürmchen unterwegs.“
Johannn Rüttinger wirft sich auf der Spielwarenmesse 2023 in Fotopose. Bild: spielwiese.at |
Johann Rüttinger, Spieleautor, Spielegrafiker und Spieleverleger (Drei Hasen in der Abendsonne), aufgewachsen in der Nachbarschaft des heutigen Messegeländes: „Ich war damals, Anfang der 70er, für Noris auf der Messe, die wir damals als Werbeagentur betreut haben. Für Noris haben wir den ganzen Messestand gestaltet, geklebt und so, noch ohne Epson-Drucker. Alles war schweineteuer! Noris war eigentlich die einzige mittelständische Spielefirma, die nie aufgegeben hatte. Spear, Klee, wie sie alle geheißen haben, da gab es damals sicher zwei Hände voll. Die sind alle verschwunden. Und Noris wurde ja deshalb verkauft, weil dann der Chef krank wurde und Simba alles zusammengekauft hat, was ging.“
Doris Kornitzer auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Doris Kornitzer, Ravensburger Österreich, kam vor knapp zehn Jahren von der Bank- in die Spielbranche und somit auch das erste Mal auf die Messe in Nürnberg: „Es war unglaublich beeindruckend. Diese Fülle an unterschiedlichen Spielen, Herstellern und diese weltweite Buntheit zu erleben. In dieser Menge und Fülle hatte ich das vorher noch nie erlebt. Diese Messe ist einzigartig.“
Dieter Strehl auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Dieter Strehl, Geschäftsführender Gesellschaft des 200 Jahre alten Familienunternehmens Piatnik. Man könnte annehmen, er wurde schon von Kindesbeinen an auf die Spielwarenmesse geschleppt. „Überhaupt nicht“, entgegnet er und schmunzelt: „Immer diese Habsburger-Gedanken! Ich habe ja überhaupt nicht gewusst, was ich machen werde. Dass ich einmal Spielkarten verkaufe. Irgendwann in den 80ern war ich dann das erste Mal hier als Angestellter in der Redaktion. Es war riesengroß! In Wien hatte es damals noch Fachausstellungen im Messepalast gegeben, PBS (Papier, Büroartikel und Schreibwaren, Anm,) und Spiel, die ,goldene Kombination’, wie das damals geheißen hat. Aber Nürnberg war natürlich eine ganz andere Qualität und Größenordnung. Die Zeit war natürlich auch eine ganz andere: Damals gab es ganz wenige Aussteller und ganz viele kleine, einkaufende Händler. Mittlerweile gibt es ganz viele ausstellende Lieferanten und die Gänge sind nicht so voll, wie mann es gerne hätte.“
Anke Brunner auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Anke Brunner, Mira-PR: „2000 war mein erstes Mal. Das war bei WKT und wir waren für Schmidt Spiele auf der Messe im Einsatz. Ich hatte etwas Vergleichbares vorher noch nicht gesehen. Das war schon ein Erlebnis, geballt all die Neuheiten zu sehen. Ein bisschen ist man ja doch rausgekommen vom Stand.“
Bertram Deininger auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Bertram Deininger, Spielepromoter und -erklärer samt „Rollender Ludothek“, auf die Frage, was vom ersten Mal hängen geblieben ist: „Das Wort dazu ist Wow! Oder Ooh! Ich war einfach geplättet. Damals noch als Lehrling als Spielwarenkaufmann in einer kleinen Firma in Klagenfurt. Spielmann, die gibt es heute noch. Ich wurde allein mit der Bahn losgeschickt und es hat dann geheißen, wir treffen uns dort. Ich habe dann in einem kleinen Ort in der Nähe von Nürnberg genächtigt, bin am Morgen auf die Messe und am Abend wieder zurück. Das war ganz spannend. Es war ein Zauberreich, so wie es die Messe viele Jahre danach noch immer war. Von Später, mit eigenem Auto, sind mir vor allem die Kilometer langen Staus vor der Messe in Erinnerung. Wenn du es nicht vor Acht geschafft hast im Umkreis von drei Kilometer zu sein, hast du mindestens zwei Stunden gebraucht, bis du an der Messe warst. Das war unglaublich. Den Nürnberger Messestau, den gibt es so nicht mehr. Das ist schon deutlich besser geworden.
Georg Wild auf der Spielwarenmesse 2023. Bild: spielwiese.at |
Georg Wild, Spieleredakteur bei Schmidt: „Als ich das erste Mal hier auf der Messe war, das müsste 2001 gewesen sein. Als ich bei Hans im Glück angefangen hatte, bin ich die ersten Jahre gar nicht mit auf die Messe, was im Nachhinein schade ist. Denn seither bin ich ein Messe-Fan. Das Bild, das ich vorher von der Messe hatte, war ein anderes, aber was sich bei mir von meinen ersten Malen eingeprägt hat, waren diese Tage nach dem Wochenende, wo du zwar am Stand warst, das war irgendwie nett zu schauen, wer kommt jetzt da eigentlich noch vorbei (Die Spielwarenmesse dauerte früher bis Dienstag, dann bis Montag, dieses Jahr ist bereits am Samstagabend Schluss, Anm.).
- Im März 1950 fand auf einer Fläche von 3000 m2 die erste "Deutsche Spielwaren Fachmesse" in der Innenstadt von Nürnberg statt
- Es kamen 350 Aussteller und 4000 Besucher – für damalige Begriffe ein Riesenerfolg
- Bis dahin war Leipzig der Treffpunkt der Spielzeugindustrie. Da die namhaftesten Firmen allerdings im Süden Deutschlands und hier wiederum im Raum Nürnberg und Fürth saßen, wollten sie "ihre" Messe hierher verlagern
- 46 Spielwarenhersteller gründeten nach der erfolgreichen Premiere eine Genossenschaft, die fortan die Spielwarenmesse organisieren sollte. Heute sind es rund 100 Genossenschafter
- 1953 war die erste eigene Messehalle gebaut
- 1958 waren erstmals 60 ausländische Aussteller dabei und die nun in Internationale Spielwarenmesse umgetaufte Veranstaltung platzte von Jahr zu Jahre immer mehr aus den Nähten
- 1970 beschloss die Stadt mit den Stimmen aller Parteien, am Stadtrand ein neues Messezentrum zu bauen.
- 1973 wurde es eröffnet: 1563 Aussteller aus 34 Ländern beteiligten sich an der ersten Spielwarenmesse dort auf 72.000 m2 Ausstellungsfläche
- Das von der Spielwarenmesse getragene Wachstum ging weiter, die Nürnberg Messe GmbH zählt zu den 15 größten Messegesellschaften auf der Welt
- Heute stehen 16 Ausstellungshallen mit insgesamt über 180.000 m² Brutto-Ausstellungsfläche sowie drei Convention Center für bis zu 13.000 Kokngressteilnehmer zur Verfügung
- 2021 und 2022 mussten wegen Corona die "physischen" Messen abgesagt werden
- 2022 übernahm die Spielwarenmesse den Friedhelm Merz Verlag und damit die Organisation der "Spiel" in Essen, der weltgrößten Messe für Gesellschaftsspiele
Arno Miller, spielwiese.at-Herausgeber: "Mir sind vor allem zwei Dinge von meinen ersten Besuchen der Spielwarenmesse in Erinnerung geblieben. Einmal wie – für die Jungen wohl kaum nachvollziehbar – die vergleichsweise wenigen Neuheiten vorgestellt wurden und wie die Messe in den den Strudel des Zweiten Golfkriegs (Jänner bis März 1991) geriet. Im Flur vor der heutigen Halle 1 waren wie auf einem Flohmarkt einfache Tische aneinander gereiht, auf denen die Firmen ihre Produkte zeigten. Bei den Spielen war es üblich, dass davon Schwarzweiß-Fotos angefertigt und hinten mit einem kleinen vervielfältigten Zettel beklebt wurden, auf denen ein paar Sätze standen. Das war das Pressematerial damals. Nach dieser Neuheitenschau lud die Messe die gesamte Journalistenschar zu einem fränkischen Essen in die Kantine ein. Inklusive Tageszeitungen, Fernsehen, Radio und Kollegen (Frauen gab es so gut wie keine), die über Puppen, Modelleisenbahn, Feuerwerke und Karnevalskostüme berichteten, waren das vielleicht 50, 60 Menschen an der Zahl, mehr nicht. Es war eine sehr überschaubare Blase, auch wenn das Wort noch niemand kannte. Und alle waren auf die eine und andere Art charismatisch.
Zu diesem Zeitpunkt war die Spielwarenmesse längst schon die weltweite Leitmesse der Spielzeugindustrie. Diese Rolle bekam sie dann ungewollt zu spüren, als Anfang 1991 die Alliierten Saddam Husseins Irak angriffen und das von ihm annektierte Kuwait befreiten. Aus Angst vor Anschlägen auf die Messe und ihre Aussteller aus den beteiligten Ländern waren im Freien Zelte aufstellt worden, in denen Taschen und Gepäck untersucht und gelagert wurden. Da musste jeder durch, der auf der Messe als Aussteller, Besucher oder in anderer Funktion zu tun hatte. Amerikanische Hersteller wie Mattel oder Hasbro hatten bewaffnete Security-Mitarbeiter an den Eingängen zu ihren Ständen. Gespenstisch und ungemütlich."
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