Amigo/Wolfgang Kramer: 6 nimmt!
|
Spielzene mit der Jubiläumsausgabe 2014 (Bild: Amigo) |
Kaum ein anderes zeitgenössisches Kartenspiel hat einen derart fulminanten Erfolg erzielt wie ein auf den ersten Blick unscheinbares, wegen seiner Gestaltung nicht ganz unumstrittenes Spiel, bei dem die Spieler Karten in eine Reihe legen müssen und dabei ganz gewaltig Minuspunkte einfahren können. Spielefans ist mit diesen wenigen Angaben bereits klar: Das kann nur 6 nimmt! von Wolfgang Kramer sein!
Das Spiel erschien vor genau 20 Jahren, Anfang 1994. Bis Ende 2013 sind von 6 nimmt! mehr als 2,7 Millionen Exemplare verkauft worden, davon 700.000 Spiele außerhalb Deutschlands. Das Kartenspiel wurde in weit mehr als 20 Sprachen übersetzt und in über 50 Länder geliefert. Fürwahr: Ein moderner Klassiker!
Es kann süchtig machen
Die Spielwiese war von Anfang an angetan von diesem Spiel und schrieb 1994: "Es kann süchtig machen!" Entweder man stoße nach einer Runde einen befreienden Seufzer aus oder ärgere sich. Denn: Die "sichere Bank", die man mit seiner – zuerst – verdeckt ausgespielten Karte zu haben glaubt, die gibt es bei 6 nimmt! nicht. Erst wenn alle in der Runde ausgespielten Karten der Reihe nach angelegt werden, stellt sich heraus, dass man mit niedrigen Zahlenwerten ebenso grausig einfahren kann wie mit der gegenteiligen Annahme, für eine hohe Karte müsste noch genügend Luft nach oben sein.
Auf die einfachen Spielregeln soll hier nicht eingegangen werden. Sie sind im Spielwiese-Test 210 näher beschrieben und weitaus spannender ist, was sich Wolfgang Kramer bei seinem Spiel gedacht hat. Das lesen Sie weiter unten.
"Ich wollte mehr davon!"
Joe Nikisch | |
Joe Nikisch, damals Redakteur beim Verlag Amigo und inzwischen mit seiner Frau Pia selbst erfolgreicher Verleger (Abacus), erinnert sich: "Wolfgang Kramer besuchte uns 1993 im damaligen Verlagshaus von Amigo am Stadtrand von Urberach. Im Gepäck hatte er einige Spiele, die er nach und nach auspackte. Was dann geschah, passiert einem auch nach mittlerweile 30 Jahren andauernder Tätigkeit in der Spielebranche selten. Schon nach der kurzen und bei Wolfgang Kramer immer präzisen Erläuterung der Spielidee fing ich Feuer. Ich brannte richtig darauf das Spiel, dessen Idee mir sofort einleuchtete, auch zu spielen. Und die Begeisterung ließ in keiner Weise beim Spielen nach. Im Gegenteil, ich wollte mehr davon, und in meinem Kopf kreisten meine Gedanken nur noch um das Spiel. Ich weiß auch noch, dass ich Wolfgang Kramer noch während des Treffens mitteilte, dass ich mich um den Vertrag kümmern würde."
Im Begleitheft zur Jubiläumsausgabe 2014 verrät Nikisch weitere Details, wie es zum Beispiel zu den Hornochsen kam – schließlich nennen viele Spieler 6 nimmt! ganz einfach "das Hornochsen-Spiel". Kramer hatte seiner Spielidee den Arbeitstitel "Heiße Ware" gegeben, doch im damaligen Umfeld fand ein diebisches Thema keinen Anklang: 1990 hatte Amigo ein Kartenspiel Beutezug getauft, was von Eltern und Erziehern als pädagogisch verfehlt angekreidet worden sei. Nikisch: "Das führte zu der Überlegung eine abstrakte Grafik zu verwenden. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit von Amigo mit Franz Vohwinkel und seiner Frau Imelda. Was lag näher, als einen der besten Autoren Deutschlands mit einem der besten Spieleillustratoren Deutschlands zusammenzubringen. Ein ungewöhnliches Spiel verlangt nach einer ungewöhnlichen und auffallenden Grafik, und so kam es zu den Hornochsen."
Noch alles von Hand gezeichnet
Franz Vohwinkel | |
"Die Original-Gestaltung von 6 nimmt! ist für mich auch nach all den Jahren immer noch etwas ganz Besonderes", bekennt auch Franz Vohwinkel bei gleicher Gelegenheit. Sie entstand 1993, als noch nicht die Möglichkeiten des Computers das Grafikdesign bestimmten. "Hier ist jede Zahl und jeder Buchstabe noch einzeln von Hand entworfen und aus roter Lithografie-Folie geschnitten. Die Reinzeichnung des Kartentableaus bestand aus liebevoll auf Zeichenkarton zusammenmontierten schwarz-weiß Repros und wirkt heute wie ein Relikt aus einem anderen Zeitalter. Für den Drucker wurden die Farbwerte noch auf Deckern aus Transparentpapier ausgezeichnet. Es ist aus heutiger Sicht fast nicht mehr vorstellbar, wie Grafiker damals arbeiteten. 6 nimmt! wird mich immer an diese Zeit erinnern."
Am Ende zählen die kleinen Hornochsen an den Stirnseiten als Minuspunkte – bei der 55 sind es zum Beispiel 8. Das Design der Karten wurde auch als wenig lesefreundlich kritisiert. Dem Erfolg von 6 nimmt! hat das keinen Abbruch getan. |
Zurück zum genuinen Spielmechanismus von 6 nimmt!. Er war von Anfang an geradlinig, faszinierend und "einfach nur genial gut", erklärt Joe Nikisch, "der Rest ist nun schon eine Jahrzehnte andauernde Erfolgsgeschichte eines Kartenspiels, bei dem ich die Begeisterung für das Spiel wohl mit vielen, vielen Menschen teile."
Von der Kartenhand aufs Spielbrett
Die Grundidee wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrere Male variiert. 2004 wird das Prinzip auf das Brettspiel Tanz der Hornochsen übertragen, 2009 erscheint 6 nimmt! Junior, 1998 bzw. 2012 kommen die Varianten Hornochsen! und Bullenparty als eigenständige Kartenspiele auf den Markt, während 11 nimmt! (2010) eher als Weiterentwicklung zu sehen ist.
Wolfgang Kramer: Wie alles begann
Der Autor beschreibt die Entwicklung im Begleitheft zur Jubiläumsausgabe 2014 von Amigo
In meinem Ordner mit Spielideen hatte ich damals eine Idee für ein Kartenspiel notiert, bei dem es Karten/Plättchen mit normalen und „heißen“ Waren gab. Den Besitz von heißen Waren galt es zu vermeiden oder wenn man sie besaß, sollte man sie rasch wieder loswerden. 1992 begann ich an dieser Idee zu arbeiten. Meine Frau begleitete die gesamte Entwicklung des Spiels aktiv mit, gab Vorschläge und testete mit. Bei der ersten Umsetzung erhielt jeder Spieler kleine Plättchen, auf denen normale und heiße Waren abgebildet waren. In der Tischmitte lagen 6 Koffer (=Stanztafeln) mit jeweils 8 Feldern, auf die die Plättchen gelegt werden konnten. In jeden Koffer konnte nur eine ganz bestimmte Warenart und die heißen Waren gelegt werden. Wer eine Ware in einen Koffer legte, musste den ganzen Koffer nehmen und vor sich ablegen. Den Koffer konnte man wieder loswerden, wenn ein anderer Spieler eine Ware in den Koffer legen musste. Erst dann, wenn der Koffer ganz voll war, musste der Spieler alle Waren zu sich nehmen. Der leere Koffer kam wieder in die Tischmitte und konnte erneut gefüllt werden. Von den Waren, die ein Spieler nehmen musste, waren nur die heißen Waren mit Minuspunkten versehen.
Nachdem der Basismechanismus ordentlich funktionierte, testete ich mit unterschiedlicher Anzahl von Koffern, mit unterschiedlicher Anzahl Feldern in einem Koffer, mit unterschiedlicher Anzahl von heißen Waren und mit unterschiedlich hohen Minuspunkten. Die besten Ergebnisse hatte ich mit 4 Koffern und 6 Feldern pro Koffer und mit relativ vielen heißen Waren. Dies brachte mich auf die Idee, nur heiße Waren zu verwenden. Dann verschwanden die Koffer und aus den Plättchen wurden normale Spielkarten. Somit hatte ich jetzt ein reines Kartenspiel. Obwohl das Spiel bereits sehr gut funktionierte und viel Spaß machte, suchte ich noch nach Verbesserungen. Auf diese Weise entstanden nach und nach die Spielregeln, die auch heute noch gelten.
Im März 1993 reichte ich das Spiel bei einem Verlag ein, der es allerdings ablehnte. Da ich von meinem Spiel überzeugt war, stellte ich „Heiße Ware“ noch im April dem Verlag Amigo vor. Der verantwortliche Redakteur war Joe Nikisch. Er erkannte sofort das Potential des Spiels und schickte mir am 12.05.1993 einen unterschriebenen Vertrag, den ich umgehend unterschrieb und zurücksandte. Nach der Vertragsunterschrift arbeitete ich ausschließlich am Titel und am Thema. Das Thema sollte, wie bei Hol’s der Geier nur angedeutet sein. Meine Titelliste umfasste mehr als 30 Titel, darunter auch "6 nimmt!", „Take it easy“ und „Don’t worry“. Damals Mitte 1993 gab es noch keine Hornochsen. Ich stellte mir ein Tier oder einen Kopf oder ein Objekt vor, das auf dem Cover und den Karten abgebildet und das die Minuspunkte darstellen sollte. Auf meiner Suche hatte ich mir u. a. notiert: Esel, Kamel, Hammel, Schaf, Ochse, Schafskopf, Döskopp, Holzkopf, Schwachkopf, Strohkopf, Hohlkopf und Armleuchter.
Im Juli sandte ich dann ein Fax an Joe Nikisch, in dem ich ihm die Ergebnisse meiner Suche mitteilte. Ich teilte ihm meinen Favoriten mit. Ich schrieb:
„Am besten gefällt mir:
Sechs nimmt (= Titel)
Kein Spiel für Hornochsen (= Untertitel)
Der Verlierer des Spiels ist der Hornochse.“
Joe Nikisch war mit meinen Überlegungen einverstanden. In der zweiten Hälfte 1993 arbeitete dann der Verlag an der Gestaltung und Aufmachung des Spiels. Ich war in alle Schritte einbezogen und machte da und dort Vorschläge. Als Illustrator konnte der Verlag Franz Vohwinkel gewinnen. Zusammen mit Joe Nikisch feilte ich an der endgültigen Spielregel.
Anfang Februar 1994 war es dann soweit: Auf der Nürnberger Spielwarenmesse wurde 6 nimmt! der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Rezensionen fielen alle sehr gut aus. Bereits im ersten Jahr erhielt das Spiel den Deutschen Spielepreis und wurde zum Spiel des Jahres nominiert. Die Zeitschrift Fairplay vergab die Auszeichnung „Kartenspiel des Jahres“. Weitere Preise und Auszeichnungen im Ausland folgten.
Als Schachtel hatte der Verlag die damals übliche Faltschachtel gewählt, die sich aber nicht als so zweckmäßig erwies. Deshalb führte man ab der nächsten Auflage die heute noch geltende Stülpschachtel ein. Die Schachtelgestaltung von Franz Vohwinkel kam anfangs nicht besonders gut an. Auch meine Frau und ich waren nicht begeistert. Nach ein bis zwei Jahren Abstand erkannten wir aber, dass das Cover modern und ungewöhnlich war. Dies hatte den Vorteil, dass sich das Spiel von anderen Kartenspielen abhob und leicht erkennbar
war.
Auch die „Hornochsen“ waren ein Glücksgriff. Denn das Wort „Hornochsen“ führte immer zu einem Grinsen und blieb im Gedächtnis der Menschen haften. Deshalb verlangten die Spielekäufer im Geschäft häufig nicht das Spiel 6 nimmt!, sondern "das Hornochsen-Spiel". Im Jahr 2014 feiert 6 nimmt! seinen 20. Geburtstag. Für ein Spiel ist dies ein stolzes Alter, denn die meisten Spiele werden nicht älter als drei Jahre. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass 6 nimmt! uns alle überlebt und in 100 Jahren auch noch gespielt wird.