10. JUNI 2014
Wahrnehmungen und Entdeckungen
-------------------------------------------------- ARNO MILLER --------------------------------------------------
Heute will ich euch Port Royal ans Herz legen. Verpackt in zwei Begebenheiten rund um dieses Spiel: 1. wie unterschiedlich ein Spiel wahrgenommen wird, und 2. wie abenteuerlich der Spielekauf in der Großstadt sein kann.
Port Royal ist ein neues Kartenspiel von Pegasus. Es hat nichts mit dem Port Royal zu tun, das 2000 bei Queen erschien und im selben Jahr auf der Auswahlliste stand. Das aktuelle Spiel erinnerte mich beim ersten Mal entfernt an Dominion. Man sammelt Karten mit bestimmten Fähigkeiten, um damit andere Karten aus der Auslage zu ergattern, um schlussendlich seine Punkte zu optimieren. Kein großes Getöse wie Dominion, sondern kompakt in einer kleinen Schachtel um wenige Euro. „Eine Art Dominion im Handtaschenformat“, machte ich es meinem Sohn schmackhaft. Der Sohn: spielt am Computer, auf der Playstation, am Handy und muss für physische Spielerunden eher „überredet“ werden. Aber Dominion liebt er! Er beherrscht es sogar, wie niemand anderer in der Familie.
«Ausgerechnet ein Musikhaus entpuppt sich als Spieler-Lichtblick im Angebots-Einerlei von Wien. |
„Das hat doch mit Dominion gar nichts zu tun!“, lautete Sohnemanns Urteil nach spielerischem Erstkontakt, ohne auf Details einzugehen. Mehr noch: Es sei ein blödes Spiel. Bei weiteren Port Royal-Runden in den folgenden Wochen spielte er trotzdem und mit wachsendem Interesse mit. Er verhielt sich genauso wie bei Dominion, nämlich als gefinkelter Optimierer der Aktionen und Boni, die einzelne Karten bieten. Auch wenn es mein Junior abstreitet, spricht Port Royal doch ähnliche Instinkte und Reflexe an. *)
Die anderen Spieler in diesen unterschiedlich besetzten Runden zog in erster Linie die Glückskomponente in den Bann. Wer Port Royal nicht kennt: Der aktive Spieler deckt eine Karte nach der anderen nebeneinander zu einer Auslage auf, er kann damit jederzeit aufhören, muss aber aufhören, wenn ein Schiffstyp das zweite Mal aufgedeckt wird. Der aktive Spieler hat die erste Wahl, sich aus der Auslage eine oder mehrere Karten zu nehmen, dann haben die anderen im Uhrzeigersinn diese Möglichkeit, wobei der eigene Geldvorrat (die Karten sind unterschiedlich teuer) das Ganze konditioniert. Vor allem Sohnemanns Tante ist ein begeistertes und williges Opfer der Hasardiererei. „Dieses Spiel muss ich mir kaufen!“
Nicht jeder Absichtserklärung folgen bekanntlich sofort Taten. Die Tante wohnt im fernen Wien, und wenn ich dort einmal im Monat zu tun habe, bin ich oft Übernachtungsgast. Was lag also näher, als sich mit diesem Spiel erkenntlich zu zeigen. Man sollte meinen, in der Großstadt wäre es ein Leichtes, dieses Spiel zu erstehen. Weit gefehlt.
Um es abzukürzen: Fehlanzeige bei einschlägigen Ketten wie Müller und Ratlosigkeit und Ignoranz bei sogenannten Fachgeschäften wie Heinz oder Kober. Von Pegasus führe man nur Weniges, so eine der Auskünfte mit dem Unterton, dieser Verlag sei auch nicht wichtig. Die typische Verkennung des Marktes, die Käufer scharenweise zu Amazon treibt.
Mir blieb am Ende des Tages der Onlinekauf doch noch erspart. Auf dem Rückweg zu meiner Schwägerin kam ich an einer eigenartig bestückten Auslage vorbei. Gitarren und Musikutenisilien und dazwischen Spiele, darunter zwei andere Neuerscheinungen von Pegasus. „Haben Sie auch Port Royal?“ Ja, sagt Gerhard Tinter mit Selbstverständlichkeit. Herrn Tinter findet man im gleichnamigen Musikhaus in der Währingerstraße. Eigentlich sind wir eine Musikschule, holt er zum Zusammenhang mit den Spielen aus, und er wolle seinen Schülern zeigen, dass es zur übrigen Freizeitgestaltung nicht nur Bildschirm-Daddelei gibt. Sondern eben auch Spiele, zu denen man sich gemeinsam hinsetzen und interagieren kann, mit physischem Material. Aufs haptische Erlebnis lege er besonders Wert.
Gerhard Tinter erscheint mir nicht als blauäugiger Weltverbesserer. Er ist seit Urzeiten begeisterter Spieler und weiß wovon er spricht. In diesem Jahr fuhr er das erste Mal nach Nürnberg zur Spielwarenmesse um einzukaufen. Das Spielesortiment in dem kleinen Laden im 18. Bezirk ist nicht groß, aber wohl sortiert im besten Sinn des Wortes. Abenteuer Großstadt: Ausgerechnet ein Musikhaus entpuppt sich als Spieler-Lichtblick im Angebots-Einerlei von Wien.
Was denkst du darüber?
*) Bevor Proteststürme kommen: Natürlich bleiben Dominion und Port Royal zwei unterschiedliche Paar Schuhe.