9. JULI 2014
Reine Lehre vs. Atmosphäre
-------------------------------------------------- ARNO MILLER --------------------------------------------------
Bei meinem Ausflug in eine andere Spielewelt traf ich einen alten Bekannten.
Claudia Schmitz ist Beraterin für Lernprozesse in Unternehmen. Ihr werde oft die Frage gestellt, wie man strategisches Denken lernen kann. Sie sagt dann: „Spielen Sie erst einmal Schach.“ Schach gilt als Urvater des Planspiels. Wie unzähligen Spielen danach galt sein eigentlicher Zweck der militärischen Schulung. Und da Wirtschaft auch als „Kriegsführung mit anderen Mitteln“ bezeichnet wird, sind gerade im Management mehr Planspiele im Einsatz, als man annehmen würde (siehe vorherigen Blog). Im deutschsprachigen Raum wird ihre Zahl auf etwa 4000 geschätzt.
«Heute würde sich jeder Verlag hüten, ein derartiges Spiel der breiten Masse anzudienen. |
Viele davon sind Computer-basiert, andere sind Variationen des Rollenspiels. Aber es gibt auch zahlreiche Planspiele, die als Brettspiele daherkommen. „Die Überlegenheit von Brettspielen ist die Übersicht“, erklärt Schmitz, „ich sehe alles, was passiert. Das gibt mir Sicherheit.“ Alleinige Bestimmung von Planspielen ist die Simulation von Systemabläufen zur Entscheidungsfindung. Daraus erklärt sich auch, dass diese Spiele durchwegs grafisch nicht auf der Höhe der Zeit sind. Die Spielfiguren sind so was von stinknormal, die Spielbretter mitunter riesig, aber für unsereins abschreckend abstrakt und lieblos. Design, so die Planspiel-Entwickler-Denke, lenkt nur ab.
Die Ausnahme von dieser Regel wäre in diesem Jahr 30 geworden: Ökolopoly von Ravensburger. Autor war der 2003 verstorbene Frederic Vester. Er forschte unter anderem über systemische Zusammenhänge im Umweltbereich und entwickelte dazu einen wahren Planspiel-Kosmos *). Ravensburger griff eine seiner Simulationen auf und veröffentlichte sie 1984 in einer bunten Schachtel. Heute würde sich jeder Verlag hüten, ein derartiges Spiel der breiten Masse anzudienen. Es wäre ökonomischer Selbstmord. 1984 war eine andere Zeit, Ökolopoly nahm den Schwung der sich etablierenden Grünen-Bewegung mit. Als Familienspiel hielt es sich immerhin zwölf Jahre im Standardprogramm von Ravensburger und gilt zurecht auch als Klassiker im Genre kooperativer Spiele.
Ausstellung zur ISAGA-Tagung: Das Ur-Modell von Ökolopoly (unten) und das Spiel, das Ravensburger daraus machte.
|
Bei großzügiger Auslegung haben einige Spiele der Schweizer Spielewerkstatt Murmel oder von noch kleineren Independence-Verlagen Planspielcharakter. Oft überwiegt jedoch ein aufklärerischer Ansatz, als dass sie für die wissenschaftliche oder methodisch-didaktische Simulation taugen würden. Und ja, natürlich: In vielen komplexeren Brettspielen, die im gut sortierten Spielefachhandel stehen, werden die gleichen Aufgaben aus der Wirtschaft abgebildet, mit denen sich auch die Planspiel-Entwickler beschäftigen. Nur ist hier der Sieg das Ziel, dort ist es der Erkenntnisweg und im Sinne eines Experiments ist das Ergebnis offen. Bei Gesellschaftsspielen hingegen steht durch eine bestimmte Spielmechanik das Ergebnis von vornherein fest. Mit anderen Worten: „normalen“ Spieleautoren, Grafikern und Verlagen geht es um die atmosphärische Umsetzung eines Themas.
Bei den Planspielen steht jedoch die „reine Lehre“ im Vordergrund. Der Kreis potenzieller Abnehmer ist begrenzt. Wobei den Fremden doch überrascht, dass bei der Produktmesse zur ISAGA-Welttagung in Vorarlberg nicht weniger als 35 kommerzielle Planspiel-Anbieter mit Verkaufsständen präsent sind.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Spiele-Spezies entdeckt man bei genauerem Hinsehen zaghafte Überschneidungen. Die eine und andere Planspiel-Idee hielt Einzug in Nischenprogramme wie Think von Ravensburger oder auch bei Moses. Häufiger aber der umgekehrte Weg, dass gängige Gesellschaftsspiele (selbst ein biedere Spiele des Jahres) von Konzernen für interne Schulungszwecke oder für Kunden als Planspiel „light“ umfunktioniert werden.
Selten ist die Verbindung zweier Welten allerdings gleichzeitig so überzeugend und so schön, wie es bei Ökolopoly gelang.
Was denkst du darüber?
*) Vesters aufwendige Planspiel-Apparaturen sind Teil der Ausstellung „250 Jahre Planspiel“ im Rahmen zur ISAGA-Welttagung an der FH Vorarlberg in Dornbirn (bis 11.7.), darunter auch das „Ur“-Ökolopoly.