Welche Spiele empfiehlt ein Intelligenzblatt wie die „Washington Post“ seinen Leserinnen und Lesern für den Urlaubskoffer? Der nähere Blick auf die Zehner-Liste überrascht.
2. JULI 2023
„Hier sind 10 Vorschläge, bei denen keine Bildschirmzeit erforderlich ist“, schreibt die Autorin Natalie B. Compton eingangs des Artikels in der heutigen Ausgabe der „Washington Post“. Spiele gehören ihrer Ansicht nach unbedingt ins Reisegepäck oder griffbereit für einen langen Flug. Dem kann ich nur zustimmen. Auch ihrer Aussage „Spiele eignen sich hervorragend, um Leute von ihren Telefonen abzulenken, das Reiseteam besser kennenzulernen oder die schwindende Energie einer Gruppe wiederzubeleben.“
.
|
In ihrer Liste gibt es Bewährtes und relativ Neues. Fast alles kennen wir auch hier bei uns. Das verblüfft. Andererseits nimmt sich die wachsende amerikanische Spiele-Community ja Europa zum Vorbild. Und mehrere der Vorschläge von Comptons Liste kommen vom „alten Kontinent“. So auch das erste, vom Briten John Yianni. Aber der Reihe nach …
„1. Als Konversations-Starter“
Hive Pocket, die kleine Version von Hive (Huch! and friends, 2006), habe wenig Regeln, sei intelligent herausfordernd und so genau das Richtige, um auf Reisen (neue) Freunde zu gewinnen, heißt es in der Hauptstadt-Zeitung.
„2. Für den Alleinreisenden“
Box One ist 2020 in den USA erschienen und bisher nicht auf deutsch lokalisiert worden. Es ist ein Escape-Spiel für 1 Spieler.
„3. Für den Strand“
Mit dieser Empfehlung überrascht die "Washington Post" durchaus: Herausgegriffen wurde ein finnisches Spiel, nämlich Mölkky, bei uns vom Prinzip her auch als Kubb oder Wikingerschach bekannt. Was die Ökologie-affine Leserschaft natürlich sofort anspricht: „… you can play it out in the elements, making it great for camping, cabins in the woods and beach rentals“. Nun, dafür braucht es vergleichsweise schon etwas Platz im Gepäck.
„4. Um Italiener zu beeindrucken“
Warum Italiener? Weil es bei diesem Tipp um Scopa geht, ein Kartenspiel, dessen Wurzeln Jahrhunderte zurück in Italien liegen und (nicht nur) dort seither mit großer Leidenschaft gespielt wird. Es gibt zahlreiche regionale Varianten, was sowohl Regeln als auch die Kartengestaltung angeht. Im deutschsprachigen Raum gab es immer wieder Scopa-Adaptionen. Um nur drei zu nennen: Safarü (mit ü) als Teil der Sammlung Mü & mehr bei Amigo (1996), Gelb gewinnt! bei Kosmos (2005; muss ich wieder mal hervorholen – ich habe es geliebt!) und 7 Seas bei Abacus (2022).
„5. Für Wortjongleure“
Weniger formal und vor allem leichter zu packen, rät Natalie B. Compton, zu Quiddler. Der eine oder andere erinnert sich: Es war ein Kartenspiel, das von 2014 bis 2018 bei Amigo im Programm stand. Das simple Prinzip: Man spielte Buchstabenkarten (mit unterschiedlichen Werten) aus und bildete damit Wörter. Bis einer alle Karten abgelegt hatte. Pluspunkte für die Wörter, Minuspunkte für übrig gebliebene Karten.
„6. Für Kids unter 4“
First Orchard … wörtlich übersetzt heißt es „Erster Obstgarten“. Es braucht nicht viel Fantasie, um dabei die Ausgabe für die Kleinsten vom meistverkauften Spiel von Haba zu verorten: Obstgarten.
„7. Für Chaos“
Wenn hierzulande Dutch Blitz genannt wird, sieht man in ratlose Gesichter. Sagt man allerdings Ligretto … Übrigens, was die europäischen Wurzeln betrifft: Dutch Blitz gilt als einer der Vorfahren von Ligretto und wurde 1959 vom deutschen Auswanderer Ernst George Muller erfunden und ist vor allem unter anderen Deutschstämmigen und den Amischen beliebt. Muller entwickelte es, um den Kindern ein besseres Zahlen- und Farbverständnis zu vermitteln. Ob er dabei wohl das praktisch identische Rasender Teufel in Erinnerung hatte, das Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner alten Heimat gespielt wurde?
„8. Für einen Trip mit Freunden“
Geht immer und braucht kein Spielbrett, wie das große Vorbild Scrabble: Also noch ein Buchstabenspiel: Bananagrams. Kennen und mögen wir von unterschiedlichen Herstellern: Zuerst Kosmos, dann Game Factory und später unter der Originalbezeichnung im Vertrieb von Asmodee.
„9. Für die generationsübergreifende Reisegruppe“
Jetzt wird’s endgültig klassisch! Die Kollegin schreibt: „Monopoly braucht eine Ewigkeit um es zu spielen. Monopoly Deal ist das genaue Gegenteil.“ Das stark vereinfachte Wirtschaftsspiel, allein mit Karten. Auch dieses Spiel hat in deutschen Versionen schon etliche Herausgeber, angefangen von Parker über Hasbro und ASS bis hin zur Supermarktkette Rewe.
„10. Für großes Gelächter“
Das als zehntes und letztes empfohlene Spiel der "Washington Post" hat indirekt mit Monopoly zu tun. 1994 hat eine Firma USAopoly (seit 2019 The Op) im kalifornischen Carlsbad damit begonnen, Städteausgaben von Monopoly herauszubringen, ähnlich wie Winning Moves bei uns. Weitere Klassiker sollten folgen, bis man begann selbst mehr oder weniger eigene Spiele zu kreieren. 2009 brachten sie in Amerika Telestrations auf den Markt. Stelle dir eine Mischung aus Pictionary und einer telefonisch weitergegeben Nachricht vor, versucht es die "Post" mit einer Erklärung. Nun, als Goliath 2012 die deutsche Version davon herausbrachte, war der Verlag kürzer und treffender: Stille Post extrem. Wie auch beim 2017 bei Drei Hasen in der Abendsonne erschienenen Mutabo ist der Kern, dass ein Begriff abwechselnd schriftlich und gezeichnet weitergegeben wird, man aber immer nur die Botschaft des unmittelbaren Vorgängers kennt.
Diese Empfehlungsliste beweist einmal mehr: Ein passendes Spiel zu finden ist keine Hexerei.
Was denkst du darüber?