Neben der „Ver-Appung“ traditioneller Spiele kennzeichnet die fortschreitende Zersplitterung des Marktes den Beginn des Jahres. Auf der Strecke bleibt das klassische Familienspiel. Die Ausdünnung des Angebotes ist unübersehbar.
Was einmal den Mainstream kennzeichnete, ist zum Minderheitenprogramm geschrumpft. Familienspiele sind nicht mehr die Aushängeschilder der renommierten Spieleverlage. Sie überlassen das Feld kleineren und Kleinstverlagen sowie dem Nachschub aus dem Ausland.
Familienspiele finden keine Käufer mehr. Der Spielwiese vorliegende Zahlen für bestimmte Neuheiten der vergangenen zwei Jahre sind teilweise erschreckend. Was in diesen Tagen in Nürnberg gezeigt wird, macht die Zersplitterung des Spielemarkts in vier Segmente offenkundig.
- Für die Masse Spiele, die als Allererstes zwei Bedingungen erfüllen müssen: so einfache Regeln wie nur irgendwie möglich und ein maximaler Verkaufspreis von 20 Euro. Das Ideenrecycling in Erweiterungen, Würfel- und Kartenspielausgaben ist Tagesgeschäft geworden.
- Wer ein bisschen Wert auf Handlung und geistige Herausforderung am Spielbrett legt, schaut bei den kleineren Verlagen auf der Spielmesse in Essen vorbei oder forscht im Internet nach Exoten und in den Programmen von Anbietern wie Heidelberger, Pegasus, Hutter oder Asmodee, die als Mischung aus Verlag und Handelshaus agieren. Die Vertriebskonzentration ist enorm, stellt aber wenigstens sicher, dass die paar Tausend eingefleischten Spieler sowie engagierte Fachhändler mit Anspruch relativ einfach bekommen, wonach sie suchen.
- Das Bauchgefühl vieler junger Erwachsener, wonach das Leben eine einzige Party ist, wird mit einer Fülle an Kommunikations- und Gebärdenspielen bedient. Keine Idee ist zu alt oder zu blöd. Das Angebot nähert sich auch themenmäßig – Geissen-Spiel, Katzenberger-Spiel – bedrohlich dem Dschungelcamp-Niveau des Fernsehens. Verschmelzen Fernsehen und Internet weiter in dem rasanten Tempo wie zuletzt, werden Partyspiele in Schachteln die Ersten sein, die der digitalen Anziehungskraft zum Opfer fallen. Den Todesstoß versetzen könnte schon bald Apple-TV: Es wird diese oder eine ähnliche Unterhaltungszentrale im Wohnzimmer sein, die den Takt für interaktives Spielen der Zielgruppe angibt.
- Bleiben Kinderspiele. Hier gibt es kein digitales Damoklesschwert, das darüber schwebt. Denn Kinder sollen und müssen Erlebnisse und Erfahrungen auch haptisch mit Spielmaterial sammeln, da sind sich alle einig. Und dank PISA-Desastern, neuen Erkenntnissen der Hirnforschung übers Lernen sowie Innovationen wie tiptoi®- und anderen Stiften bleibt der Bereich Kinderspiele nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern behauptet sich auch weiter als sozial unverzichtbar.
Doch ansonsten ist nichts mehr so wie es noch vor gar nicht langer Zeit war. Da waren Ravensburger, Schmidt, Amigo und Kosmos diejenigen Verlage, die Jahr für Jahr eine Vielzahl an Spielen präsentierte, die gemeinhin als Familienspiele bezeichnet werden. Die also einen mehr oder weniger großen Spielplan haben, ein Thema und eine Handlung, die es zu erschließen galt. Und das ist der Status quo:
- Ravensburger 2012: Mit Indigo exakt ein solches Spiel. Wie es ausschaut, wird im Herbst nichts hinzukommen
- Schmidt 2012: Macht schon länger nur noch maximal zwei „große“ Spiele pro Jahrgang. Die Nürnberg-Neuheit heißt Grimoria
- Amigo 2012: nichts, aber im Herbst soll Spiel nach traditioneller Machart kommen
- Kosmos 2012: Waka Waka ist das einzige Spiel, das in diese Kategorie passt.
Kaufmännisch macht ein Angebot, das nicht (mehr) nachgefragt wird, keinen Sinn. Diese bescheidene Liste ist deshalb kein Vorwurf an die genannten Verlage, sondern Indiziensammlung für den Umbruch am Markt. Gerade hat sich Winning Moves Richtung Zweit- und Drittverwertung verabschiedet. Für Lichtblicke sorgt noch eine Handvoll Verlage wie Abacus, Hans im Glück, Zoch oder (trotz aller Fragezeichen) Queen.
Schon vom Tod des Familienspiels zu sprechen, wäre also übertrieben. Für eine Genesung des Patienten fehlen allerdings alle Anzeichen.
Arno Miller