STELLENABBAU. Außerhalb des bayerischen Landkreises Coburg kaum beachtet und für fast alle kam die Meldung aus heiterem Himmel: Die Haba-Gruppe ist in arger Schieflage. Inoffiziell heißt es, dass jeder dritte Arbeitsplatz gestrichen wird. Auch ein angeblicher Sündenbock wurde ausgemacht: Die Software war's.
Versuchen wir einen nüchternen Blick auf die Sachlage zu werfen. Was ist bisher bekannt? Das Unternehmen gibt sich zugeknöpft, was in solchen Situationen aber auch verständlich ist. Auf Medienanfrage räumte eine Firmensprecherin in der Vorwoche ein, die Haba-Gruppe sei „gezwungen einen massiven Personalabbau vorzunehmen“ und begründete dies mit „Umsatzeinbrüchen insbesondere im Endkundengeschäft“.
Am 11. Juli gab es eine interne Information an die Belegschaft. Von den 2000 Mitarbeitern sollen angeblich 650 ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Verunsicherung ist groß, denn keiner weiß, ob und wie er oder sie betroffen ist. Details über Kündigungslisten und Sozialpläne würden bis Mitte August verhandelt und ausgearbeitet.
Die Haba Family Group im oberfränkischen Bad Rodach ist der größte Arbeitgeber im Landkreis Coburg.
Zu den Hintergründen
Die Haba Family Group, so nennt der Konzern seit wenigen Jahren, hat seine letzten Umsatzzahlen für 2021 bekannt gegeben. 347 Millionen Euro. 2019, also vor Corona, waren es noch 364,2 Millionen Euro. 2022 soll es nach unbestätigten Quellen noch schlimmer gekommen sein und mit Beginn des aktuellen Kalenderjahres der Umsatz dann massiv eingebrochen sein. Warum, dazu später mehr.
Dazu muss man – gerade als „Spiele-Mensch“ – wissen: Die bekannten gelben Kinderspiele sowie Spielwaren an sich machen gerade mal zwischen einem Viertel und einem Fünftel des Umsatz bei Haba aus (22,1 % in 2019). Weit größere Bedeutung haben Möbel und Kleidung: Praktisch alle Eltern kennen die Versandhandelsmarke Jako-o, zu der sich später auch Fit-z mit „Klamotten für Kids ab 12“ gesellte. Ein wesentliches (historisches) Standbein ist die Tochterfirma Wehrfritz. Sie ging 2021 in der Umstrukturierung zu „Haba pro“ auf. Bei Wehrfritz handelte es sich um einen führenden Ausstatter von Kindergärten, Kitas und Schulen.
Das Geschäft mit kommerziellen und gewerblichen Kunden verlor in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Anteile. Nicht, weil es zurückgefahren wurde, sondern weil das direkte Geschäft mit den Endkunden immer größeres Volumen erlangte. Ein Blick auf 2019: 7,2 % des Umsatzes wurde mit Geschäftskunden gemacht, 16,3 % mit dem Fachhandel, 33,4 % mit Bildungseinrichtungen, aber bereits 43,1 Prozent direkt mit den Endverbrauchern über Onlineshops und Outlets.
Und damit war und ist die Achillesferse der Gruppe benannt, wenn 133 der insgesamt 347 Millionen Umsatz (2021) die Kunden in direkten Kontakt liegen lassen. Kunden, die sich zuletzt offenbar massenweise immer mehr von den Haba-Marken verabschiedeten.
Alle Schuld bei SAP? Wohl kaum
Grund sollen nicht zuletzt eklatante Probleme durch die Umstellung auf eine einheitliche SAP-Software für alle Geschäftsbereiche gewesen sein. Sie erfolgte zum Jahreswechsel. Die „Wirtschaftswoche“ recherchierte den zunehmenden Frust von Kunden der Haba-Onlineshops, weil Selbstverständlichkeiten nicht mehr funktionierten. Und Jens Nostheide von „Spielzeugbranche aktuell“ schreibt: „Sind aber die Kunden erstmal verloren, wird es schwierig, sie wieder zu bekommen“. Er mutmaßt, wie andere auch, dass die SAP-Probleme nicht der einzige Grund für die Schieflage sind.
Stutzig machte Insider bereits der Auftritt auf der Spielwarenmesse in Nürnberg Ende Jänner. Alles neu, alles ganz anders … okay, es war auch die erste Messe nach der Corona-Zwangspause, ein Neuanfang. Dass es nur vier wirkliche Neuheiten bei Spielen gab, überraschte aber doch sehr. Ein erstes Anzeichen dafür, dass es bei Haba nicht mehr rund läuft, war dann der Abgang des seit Juni 2019 amtierenden Firmenchefs Tim Steffens, den das Unternehmen Ende März verkündete. Steffens hatte in diesen nicht ganz vier Jahren das Unternehmen umgekrempelt – offenbar jedoch nicht erfolgreich. Nochmals Jens Nostheide: „Man hat das Gefühl, dass hier einem mittelständischen Unternehmen der Spielwarenbranche schon länger Mechanismen von Managern und Managerinnen ohne oder mit wenig Kenntnis der Branche (und vielleicht auch ohne Wissen der Inhaber?) übergestülpt wurden“.
Eine neue Geschäftsleitung unter Beteiligung einer Enkelin des Firmengründers trat im April an die Spitze der Haba Family Group und rettet, was zu retten ist. Nur ein letzter Fakt: Bereits wenige Tage danach, am 19. April, wurde bekannt gegeben, dass die aktuell acht Standorte des 2016 gestarteten Future-Labs Haba Digitalwerkstatt geschlossen werden. (Siehe Meldung Haba eröffnet 11. Digitalwerkstatt in Leipzig)
Ein Menetekel? Wohl niemand in der Spielwarenbranche hofft das.
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